Gehorsam von Hunden - eigentlich hört er ja, aber…
Warum viele Hundehalter mit den unterschiedlichsten Erziehungsmodellen immer wieder an Grenzen stoßen und bestimmte Verhaltensweisen nicht verhindern können Ein Gastbeitrag von Hundetrainer Michael Stephan
Diese Situation kennen sehr viele Hundehalter: Man gibt sich richtig viel Mühe, besucht Kurse, liest Bücher und Foren Beiträge, schaut DVDs, übt zu Hause akribisch, investiert viel Zeit und hat die Worte des Trainers deutlich im Ohr: „Du musst konsequent sein!“ Und je nach empfohlenem Erziehungsstil, sollte man konsequent das erwünschte Verhalten verstärken, oder das unerwünschte Verhalten des Hundes überdeutlich abstellen („hemmen“).
Man übt auch brav erst in ruhigen Situationen, dann in unruhigen. Doch irgendwo in den „unruhigen Situationen“ kommen die meisten an einen „Punkt X“, an dem es einfach nicht mehr funktioniert.
Der Hund geht doch jagen, zieht doch an der Leine, lässt sich doch auf dem Weg zu Artgenossen oder Joggern nicht mehr abrufen, pöbelt doch an der Leine…
Die meisten Menschen, egal welchen Erziehungsansatz sie verfolgen, stoßen trotz großer Genauigkeit und guter Konditionierung von Kommandos an Grenzen, an denen das Erlernte vom Hund nicht mehr umgesetzt wird. Emotional ein Tiefschlag, denn weder Harmonie, Zufriedenheit noch ein sorgloses Miteinander stellen sich ein. Und meist folgt ein Tiefschlag dem nächsten und der sehr bemühte Hundebesitzer, der einfach nur einen fröhlichen, zuverlässigen und treuen Begleiter im Alltag haben möchte, steht an der Grenze zur Resignation und zweifelt vor allem an sich selbst.
Hat man nicht gut genug trainiert, Fehler gemacht, zu viel verlangt, nicht aufmerksam genug hingeschaut, fehlt die Bindung, oder war man nicht interessant genug?
Nein, das sind nicht die Gründe. Und es mag schon fast frech klingen, dass wir das so pauschal behaupten, ohne einen von Ihnen, die diesen Text gerade lesen, gesehen zu haben. Die Gründe liegen ganz sicher woanders – und sind zum Glück ohne Kraftaufwand und tausend Wiederholungen zu beheben.
Um verständlich zu machen, was wir gleich erklären, hier ein kurzer Abriss über unseren Blick auf das Zusammenleben mit dem Hund. Es gibt für uns drei Bereiche:
- Die Ausbildung. Das ist der Bereich, der Hund und Mensch Spaß machen sollte. Hundesport jeglicher Art, Tricks, Nasenarbeit, Apportieren, Agility, Obedience, und vieles mehr. Wichtig als Qualitätszeit – keine Frage. Nur: ein Hobby hat nichts mit Benehmen und sozialer Interaktion im Alltag zu tun.
- Die Erziehung. Das ist der Bereich, in dem wir Hunden einen Trick beibringen müssen, den wir für unser Alltagsleben brauchen. Das sind maximal zwei Kommandos. Ein Abruf und ein Stop-Kommando. Beides würden Hunde untereinander nie tun, daher sind das sozusagen „unvermeidbare Tricks“.
- Der Alltag. Der Bereich, der immer den größten Zeitanteil im Zusammenleben ausmacht. Der Hund soll sich so gut benehmen, dass er sich selbst, uns und unsere belebte und unbelebte Umwelt nicht gefährdet. Was bedeutet, er muss dafür lernen, auf die Kommunikation seines Menschen zu reagieren sich zurück zu nehmen und anzupassen, wo es nötig ist, damit es allen gut geht.
Zurück also zu den Gründen, warum das mit dem gehorsamen Hund oft so schwierig ist, obwohl der Mensch sich alle Mühe gibt. Wir finden sie nahezu ausschließlich im Alltagsbereich. Und dort in drei kleinen Details, die viele bisher vielleicht noch gar nicht bedacht haben und die gar nicht so klein sind, wie sie scheinen.
Grund 1: Hunde sind keine Roboter
Und sie werden nicht mit einer „Software bespielt“, die dann über einen Knopf (= Kommando) abgespielt wird. Hunde bewerten Situationen je nach Charakter und Lebenserfahrung als unterschiedlich wichtig. Sie regen sich dementsprechend mehr oder weniger auf und haben eine größere oder kleinere Motivation, ein Verhalten zu zeigen. Je größer die Aufregung, desto höher der Drang für den Hund, der eigenen Entscheidung nachzugehen.Hier kommt der Mensch ins Spiel – als Sozialpartner und derjenige, der das Recht haben sollte zu entscheiden, wie die jeweilige Situation in diesem Moment zu bewerten ist. Und zwar nicht aus irgendwelchen kruden und (zum Glück!) veralteten Dominanz-Theorien heraus. Sondern weil das der Part ist, in dem der Mensch dem Hund Sicherheit gibt und zur Vertrauensperson wird. Denn seien wir ehrlich: Würden Hunde immer entscheiden, wie es ihnen gefällt, dann wären sie in unserer menschgemachten Umwelt schnell tot.
Daher ist die Frage dessen, wer die Entscheidungen treffen sollte – und zwar so, dass das Gegenüber sie vertrauensvoll annehmen kann – eine rein rhetorische Frage. Es ist ein Muss für den Hund, dass der Mensch das tut. Nur weiß das der Hund (zunächst) nicht. Er trifft aus seiner Sicht stets die richtigen Entscheidungen. Der Mensch muss ihn also überzeugen können, die besseren und richtigen Entscheidungen zu treffen. Aber wie? Dazu später mehr.
Grund 2: Hunde sind soziale Lebewesen
... und darin dem Menschen gleich: Sie brauchen die Organisation innerhalb ihrer Gruppe, von wem sie in für sie wichtigen Situationen geführt werden. Wenn sie nicht das Gefühl haben, geführt zu werden, entscheiden sie natürlich, dass sie es selbst tun. Das ist für 99% aller Hunde in etwa so, als würde man einen sehr guten und fähigen Hausmeister plötzlich zum CEO eines internationalen Multikonzerns machen: Völlige Überforderung, dauerhafter Stress und eine Menge – für die Situation – völlig falscher Entscheidungen, die mehr Schaden anrichten als Nutzen.
Erlerntes ist unter Stress kaum bis gar nicht abrufbar – das kennt jeder von uns aus dem eigenen Leben. Und auch für den Hund ist es nichts Anderes. Während der jagdmotivierte Hunde hinter dem Kaninchen herrennt, ist ein „Hier!“ für ihn nicht umsetzbar. Weil es gar nicht ankommt! Adrenalin, Noradrenalin und der Rest des Hormon-Cocktails sorgt dafür, dass der Körper 100% auf seine Tätigkeit fokussiert ist und alles andere ausblendet. Egal, wie gut das Kommando gelernt wurde. Aber wie zum Teufel bekomme ich nun Einfluss auf diesen hohen Erregungszustand, so dass mein Hund eben nicht jagen geht? Auch hier – die Antwort gibt’s gleich, wenn das Puzzle (hoffentlich für alle) vervollständigt wird.
Grund 3: Der grundsätzlich wichtigste Punkt
Darauf zielen auch schon die vorherigen Punkte in der Essenz ab. Für Hunde definiert sich Führungsanspruch dadurch, dass der der führt, das Recht hat, die Aufregung des anderen zu verwalten. Und den Raum, in dem er sich aufhält. Mehr ist es nicht. Aufregung (in der Hauptsache) und Raum (in der Nebensache) - darauf achten Hunde. Es ist so einfach wie es klingt.
Aufregung ist die Wurzel allen „Übels“, wenn es um unerwünschtes Verhalten geht. Aber auch wenn es völlig egal wäre, wie der Hund sich „aufführt“ – für den Hund ist dauerhafter Stress (positiver Stress im selben Maß wie negativer Stress) ebenso Gift für die Gesundheit, wie beim Menschen. Regt sich ein Hund über einen Reiz – egal welcher Art – nicht mehr auf, wird er das Fehlverhalten nicht mehr zeigen. Ist ein fremder Hund nicht mehr aufregend, weil der Mensch sagt: Lass das und beruhige dich! Seinem Hund also eine Fehlerinformation gibt und ihm in die Ruhe verhilft und gleichzeitig dafür sorgt, dass der fremde Hund dem eigenen nicht zu nahekommt, kann der Hund völlig entspannt an Artgenossen vorbeigehen.
Und: In einem emotional entspannten Zustand ist auch wieder Lernen möglich. Der Hund kann Situationen neu bewerten und ist nicht mehr gefangen in Reiz-Reaktions-Schemata.
Und das für alle Hundebesitzer vermutlich Schönste an der Sache ist: Das hat nichts mit klassischem Lernen zu tun, wie man „Sitz“, „Platz“ und „Fuß“ beibringt. Aufregung zu verwalten findet auf einer sozialen Ebene statt. Diese Veränderung ist daher in kürzester Zeit herbeiführbar und braucht nicht die sonst üblichen extrem vielen Wiederholungen, wie es beim Erlernen eines Kommandos der Fall ist. Die Antwort auf die Frage, wie man den individuellen „Punkt X“ meistern kann, um seinem Hund und sich selbst endlich ein entspanntes Alltagsleben zu ermöglichen, liegt also in der so einfachen wie vielleicht noch unentdeckten Antwort: Man braucht die Fähigkeit, die Aufregung des Hundes zu verwalten.
Und man darf dafür den Fokus wegnehmen vom Fehlverhalten. Denn es geht nicht um Verhalten, sondern nur darum, was den Hund aufregt und ob das in dieser Situation (!) angemessen ist.
Bitte versteht uns nicht falsch: Wir lieben lebhafte, energiegeladene Hunde, die sich freuen, springen und toben. Wir halten unsere Hunde selbst nicht anders und finden nichts trauriger, als einen dauerhaft gedeckelten Hund, der nichts mehr darf.
Einzig: Wir haben immer dann, wenn es die Situation erfordert, die Möglichkeit ohne eine wie auch immer geartete heftige Intervention, Ruhe herzustellen. Um mehr als die Möglichkeit dazu, geht es nicht. Der Hund soll im Wald rumrennen und sich des Lebens freuen. Regt er sich aber wegen eines Rehs auf, ist hier der Punkt zu sagen: Lass das und beruhige dich.
Nun gibt es dafür aber keine Schablone, denn Hunde sind so individuell wie wir Menschen es sind. Aus einer schablonenartigen „Bastelanleitung“ für die technische Umsetzung werden wieder viele herausfallen und keinen Schritt weiterkommen. Wie eine Fehlerinformation, eine Hilfe in die Ruhe und eine möglichst schnell über freundliche Gesten funktionierende Kommunikation aussieht, dazu braucht es einmal eine individuelle Anleitung.
Denn auch wir Menschen „funktionieren“ nicht alle identisch. Und wenn sich der Mensch mit einem vorgeschlagenen Weg nicht wohlfühlt, wird er ihn nie so umsetzen können, dass der Hund es annehmen kann. Damit wäre Misserfolg vorprogrammiert. Aber keine Sorge, die Wege sind vielfältig – für Menschen und für Hunde. Und wo es unter Menschen den „King Loui“ ebenso gibt wie das „Mauerblümchen“, so gibt’s das auch bei Hunden. Und hier findet sich für jeden der passende Weg. Denn führen, kann jeder Mensch seinen Hund. Es sieht nur nicht identisch aus!
Wir empfehlen
- NORMALE AKTIVITÄT
- OHNE GEFLÜGELPROTEIN
- MIT VIEL FRISCHEM RINDFLEISCH